Veranstaltungsbranche: Alarmstufe Rot

Mannheimer Veranstaltungshäuser und Veranstalter haben bei einem gemeinsamen Pressegespräch auf die durch das Coronavirus ausgelöste Notlage der Veranstaltungswirtschaft aufmerksam gemacht. Seitens SAP Arena stand Jens Reithmann, operative Geschäftsleitung (Dritter von rechts), den Medienvertretern Rede und Antwort. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, brachte er die verheerende wirtschaftliche Situation auf den Punkt.

Größere Veranstaltungen sind aufgrund der COVID-19-Krise nicht mehr möglich. Ob Business Events, Tagungen, Kongresse, Konzerte, Sportveranstaltungen oder Theater – überall dort, wo Menschen sich sonst zusammenfinden, dürfen Veranstaltungen aktuell nur unter umfangreichen, behördlichen Auflagen und mit großem Aufwand für wenige Gäste durchgeführt werden. Für die gesamte Veranstaltungsbranche ist das eine Katastrophe. Vor einigen Wochen haben sich unter dem Eindruck dieser Situation erstmals Betreiber von Mannheimer Veranstaltungshäusern sowie Mannheimer Veranstalter zusammengefunden, um einen Austausch zu starten und sich gegenseitig in dieser schweren Krise zu unterstützen. Mit dabei sind die m:con – mannheim:congress GmbH, das Capitol, der Jazz-Club Ella & Louis, BB Promotion, die Mannheimer Hallenbetriebs-GmbH, das Musik-Kabarett Schatzkistl, das Rhein Neckar Theater, die Alte Feuerwache und die SAP Arena. Aufgrund des positiven Miteinanders und produktiven Austauschs initiierte die m:con ein gemeinsames Pressegespräch.

m:con: Immenser wirtschaftlicher Schaden

„Initiativen wie die Night of Light haben zwar bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt, diese hat aber nicht so lange angehalten, wie wir uns das gewünscht hätten. Obwohl die Veranstaltungsbranche Deutschlands sechstgrößter Wirtschaftszweig ist, hat sie im Verhältnis zu anderen Branchen weniger Raum in den Berichterstattungen gefunden“, erklärte m:con Geschäftsführer Bastian Fiedler den Anstoß für die Pressekonferenz. Bei der m:con sind allein zwischen März und September insgesamt 87 Veranstaltungen im Congress Center Rosengarten COVID19-bedingt abgesagt worden, entweder auf Entscheidung des Veranstalters oder aufgrund der behördlichen Vorgaben. Der dadurch entgangene Umsatz beläuft sich auf ca. 7,7 Mio.Euro. Einige Veranstaltungen konnten auf neue Termine im vierten Quartal 2020 bzw. im Jahr 2021 verlegt oder wie beispielsweise im Falle einiger Hauptversammlungen digital durchgeführt werden. Obwohl aufgrund des Hygienekonzeptes Veranstaltungen mit begrenzten Besucherzahlen wieder durchführbar waren und auch diverse Neuanfragen und -buchungen bis Jahresende eingegangen sind, bleibt der wirtschaftliche Schaden immens. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 haben im Zeitraum 15. Juni bis 31. August insgesamt 127 Veranstaltungen mit einem Umsatzvolumen von über 8 Mio. Euro im CC Rosengarten stattgefunden. Bei diesen Kongressen sind ca. 2.000 bis 2.500 Personen im Kongressumfeld in Form von Dienstleistern, Gastronomie, etc. beschäftigt. Darüber hinaus hat auch das externe Agenturgeschäft gelitten. Im Zeitraum von März bis September sind allein 12 Kongresse und Tagungen weggefallen. Die Höhe des entgangenen Umsatzes beläuft sich hier auf ca. 6,8 Mio. Euro. Einerseits entstand durch die Rückabwicklung und Verschiebung der Veranstaltungen ein „doppelter Arbeitsaufwand“ für das Team der m:con, andererseits war zwischenzeitlich über die Hälfte der Belegschaft mindestens teilweise in Kurzarbeit.

Capitol: „Hilfen sind leider eher ein Tropfen auf dem heißen Stein“

„Die zur Verfügung gestellten Hilfen sind leider eher ein Tropfen auf den heißen Stein und werden mittelfristig nicht den Erhalt der Kunst- und Kulturstätten sichern können“, meinte Thorsten Riehle, Geschäftsführer des Capitol Mannheim. Zwischen März und Dezember wurden 162 Veranstaltungen mit einem Umsatzvolumen von ca. 1,5 Mio. Euro abgesagt, 86 davon wurden bisher verschoben. Während aktuell alle 14 festangestellten Mitarbeiter des Capitol vollständig in Kurzarbeit und auch alle 25 Aushilfen dadurch ohne Einkommen sind, wurden im selben Zeitraum 2019 ca. 1,7 Mio. Euro bei der Durchführung von 273 Veranstaltungen erwirtschaftet.

BB Promotion: „First in, last out“

Außerdem sei nicht absehbar, wann es wieder „normal“ weitergehe. „First in, last out – wir waren die erste Branche, die von Einschränkungen durch die Corona-Pandemie betroffen war, und werden wohl auch diejenige sein, die am längsten durchhalten muss“, so Matthias Mantel, Managing Director von BB Promotion. Hier mussten durch die Absage bereits 12.000 Besuchern Eintrittsgelder in Höhe von ca. 530.000 Euro zurückerstattet werden. 52 Veranstaltungen, für die etwa 240.000 Besucher erwartet wurden, mussten verlegt werden. Diese Zahlen beziehen sich allein auf die Metropolregion, Frankfurt und Köln. Dadurch ist ein Großteil der Belegschaft auf unbestimmte Zeit in Kurzarbeit, ausgenommen hiervon ist das Ticketing, das noch immer mit der Ticketabwicklung der Veranstaltungen beschäftigt ist. Im Bereich der BB Promotion Tourneen in der DACH-Region wurden ca. 600 Shows mit einem erwarteten Umsatz von ca. 30 Mio. Euro vollständig abgesagt. Künstler, Techniker und Tourneepersonal sind aktuell vertragslos. Das Musical „Starlight Express“ wurde ebenso wie die Theaterproduktion „Harry Potter und das verwunschene Kind“ wurden abgesagt bzw. geschlossen. Künstler, Techniker, Servicepersonal und Subunternehmer in beiden Theatern sind vertragslos oder in Kurzarbeit.

SAP Arena: „Mit dem Rücken zur Wand“

Die Runde zeigte auf, dass viel unternommen wurde, um unter Einhaltung der Corona-Auflagen Veranstaltungen durchführen zu können, wie beispielsweise die Erarbeitung von Hygienekonzepten oder auch die digitale Umsetzung des ein oder anderen Events. „Dennoch sind wir hier um zu zeigen, dass wir trotz all der Maßnahmen mit dem Rücken zur Wand stehen“, betonte Jens Reithmann, operative Geschäftsleitung der SAP Arena. „Die wirtschaftlichen Einbußen sind enorm: Wir haben einen Umsatzrückgang von 95 Prozent von April bis August 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Rund 35 Großveranstaltungen mit ca. 300.000 Besuchern sind in diesem Zeitraum ausgefallen. Bei einem ausverkauften Event sind fast 500 Personen im Arena-Umfeld beschäftigt; diese Jobs sind weggebrochen.“ Events mit 500 Zuschauern entsprechen nicht nur nicht dem Geschäftsmodell der SAP Arena, sie sind auch nicht wirtschaftlich durchführbar. Auch bei der SAP Arena befinden sich alle ca. 50 Mitarbeiter in Kurzarbeit.

Ella & Louis: Deutlich höherer Personalaufwand notwendig

Beim Jazzclub Ella & Louis sind die beiden Festangestellten aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes durch Stornierungen, Kundenanfragen und das Erarbeiten neuer Konzepte nicht in Kurzarbeit. Allerdings erhielten 10 von 14 freien Mitarbeitern zwischen März und Juni keinerlei Aufträge, 4 freie Techniker konnten bei Online-Konzerten eingesetzt werden. „In unserer Branche arbeiten wir viel mit Freiberuflern. Der zwischen März und Juni eingestellte Spielbetrieb führte dazu, dass deren fest eingeplantes Einkommen für 3 Monate ausblieb“, beschrieb Thomas Siffling, künstlerischer Leiter des Ella & Louis die Situation. „Durch die Abstands- und Hygieneregeln brauchen wir zur Wiederaufnahme des Spielbetriebes deutlich mehr Personal vor Ort. Dies bedeutet auch mehr Kosten bei gleichzeitig verringerter Kapazität also Einnahmen.“

Mannheimer Hallenbetriebs-GmbH: „Umsatzausfälle gehen weit über 200 Millionen Euro“

„Vielen ist auch nicht bewusst, welche Vorlaufzeit eine Veranstaltung hat. Viele Projektschritte sind nötig, verschiedene Gewerke zu koordinieren. Nicht umsonst stehen einige Veranstaltungen sogar schon Monate, teilweise Jahre im Vorfeld fest“, erläuterte Jan Goschmann, Geschäftsführer der Mannheimer Hallenbetriebs-GmbH. Sie vermarktet das Maimarktgelände im Auftrag der Stadt Mannheim für normalerweise jährlich rund 60 bis 70 Messen, Konzerte, Partys und Sportevents. Die Schwesterfirma Mannheimer Ausstellungen organisiert den Maimarkt. „Die größte Veranstaltung der Region musste abgesagt werden – ein immenser Schaden für Aussteller, Dienstleister und Zulieferer“, so Goschmann weiter. „Die Umsatzausfälle gehen weit über 200 Millionen Euro. Allein der Maimarkt steht für 3.000 Ganzjahres-Arbeitsplätze!“

Schatzkistl: Corona-Notfallspielplan entwickelt

Seit dem 14. März hat das Musik-Kabarett Schatzkistl 117 Veranstaltungen nicht durchführen können. Wie viele dieser Veranstaltungen komplett abgesagt werden müssen, ist noch nicht absehbar. Aus diesem Grund sind alle festangestellten Mitarbeiter in Kurzarbeit und alle Aushilfen ohne Einkommen. „Wir können das jährlich von uns angebotene Freiwillige Soziale Jahr Kultur, das im September startet, nicht finanzieren und mussten dieses mitten im Bewerbungsprozess erstmalig absagen. Wir werden ab September eine neue Auszubildende in unserem Unternehmen willkommen heißen. Ihr Ausbildungsvertrag wurde vor der Corona-Pandemie bereits geschlossen und wir freuen uns sehr, daran festhalten zu können. Dies bedeutet für uns jedoch auch in Zeiten von Kurzarbeit einen enormen Mehraufwand und damit hohe Kosten. Denn es muss hier eine durchgängige Betreuung und Einarbeitung durch andere Mitarbeiter sichergestellt sein“, erklärt Melissa Meyer, Projektleitung Künstlerbooking beim Musik-Kabarett Schatzkistl. „Wir haben derzeit einen Corona-Notfallspielplan für die Monate Oktober bis Dezember entwickelt, um regionalen Künstlern innerhalb der gesetzlichen Vorgaben die Möglichkeit zu geben, vor max. 38 Personen im Schatzkistl aufzutreten. Dies ist für viele unserer Künstler aktuell die einzige Möglichkeit, während der andauernden Corona-Pandemie durch Ticketverkäufe Einnahmen zu generieren. Das Musik-Kabarett Schatzkistl kann aus diesen Veranstaltungen keinen Gewinn ziehen, sondern lediglich kostendeckend arbeiten, unter der Voraussetzung, dass pro Veranstaltung 38 Tickets verkauft werden. Sollten die Verkaufszahlen darunter liegen, bedeutet das für das Musik-Kabarett Schatzkistl sogar weiteren Verlust“, ergänzte Meyer.

Rhein-Neckar-Theater: „Enormer Mehraufwand“

„Unter den aktuellen Bedingungen kann mein Haus den Spielbetrieb, den es bereits im Juni wieder aufnehmen konnte, weiter aufrechterhalten. Klingt erst einmal super, ist jedoch nur mit einem enormen Mehraufwand, der hart an der menschlichen Leistungsgrenze ist, und immensen Mehrkosten, zum Beispiel für Probenpauschalen für Wiederaufnahmeproben verbunden“, sagte Markus Beisel, Intendant des Rhein-Neckar-Theaters.

Die von den Akteuren der Pressekonferenz zusammengetragenen Zahlen zeigen auf, mit welchen Problemen und Existenznöten Firmen aus der Veranstaltungswirtschaft in Mannheim kämpfen. Bundesweit hängen über eine Million Arbeitsplätze am sechstgrößten Wirtschaftszweig Deutschlands mit ca. 130 Mrd. Euro Umsatz im Jahr. Gefordert wurde daher im Zuge des Pressetermins eine zuverlässige Perspektive der Regierung für Unternehmen aus der Veranstaltungsbranche.

Bilder: © m:con/Lüttich